Deutsche und andere Minderheiten Südosteuropas im gesellschaftlichen Umbruch des Jahres 1944/45

Deutsche und andere Minderheiten Südosteuropas im gesellschaftlichen Umbruch des Jahres 1944/45

Organisatoren
Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der Ludwig-Maximilians-Universität, Deutsches Kulturzentrum und West-Universität Timişoara (Rumänien)
Ort
Temeswar/ Timişoara
Land
Romania
Vom - Bis
16.07.2005 - 17.07.2005
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Von
Mariana Hausleitner, Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas

Der Ablauf dieser Tagung gliederte sich in vier thematische Blöcke: einen einführenden Teil, der die Lage der deutschen Minderheiten vor 1944 untersuchte, einen zweiten über die politischen Rahmenbedingungen der Minderheitenpolitik 1944-1947, einen dritten über die Lage der Minderheiten sowie einen abschließenden Teil, in dem Fragen der Historiographie erörtert wurden.

Karl Stuhlpfarrer (Klagenfurt) erläuterte die Gründe, warum ein Teil der slowenischen Bevölkerung nach der militärischen Besetzung Jugoslawiens durch die Achsenmächte mit den Besatzern kollaborierte, ein anderer hingegen mit Resistenz oder militärisch organisiertem Widerstand als Partisanen reagierte. Hintergrund war die Umsiedlung von Deutschen aus der Gottschee, Südtirol sowie von anderen kleineren volksdeutschen Gruppen nach Slowenien, die die Deportation mehrerer tausend Slawen in Lager nach Deutschland zur Folge hatte. Diejenigen Slowenen, die als so genannte „Windische“ eingestuft wurden und germanisiert werden sollten, erhielten die deutsche Staatsangehörigkeit auf Widerruf. Vor allem Österreicher aus der Steiermark und aus Kärnten profitierten von der deutschen Besetzung Sloweniens.

Mariana Hausleitner (München) hob hervor, wie stark der staatliche Rahmen das Handeln der Donauschwaben in den Kriegsjahren beeinflusste. Aufgrund der deutschen Besatzung nahmen die Donauschwaben im serbischen Banat wichtige Positionen in der Verwaltung ein, wodurch sie sich das Eigentum ermordeter Juden aneignen konnten. Viele Schwaben wurden zur SS-Division „Prinz Eugen“ einberufen und kämpften gegen Titos Partisanen. In Rumänien dagegen begrenzte General Antonescu den politischen Einfluss der deutschen Minderheit, jüdisches Eigentum wurde vor allem an Rumänen verpachtet. Nach Kriegsende wurde jedoch vielen Banatern ihre Einberufung zu Militäreinheiten des Deutschen Reiches seit 1943 zum Verhängnis.

Marie-Janine Calic (München) gliederte die Geschichte der Deutschen Volksgruppe im „Unabhängigen Staat Kroatien“ in drei Phasen. Zwischen 1941 und 1943 erfolgte unter Anleitung der Volksdeutschen Mittelstelle die „Gleichschaltung“ und Klassifizierung nach Rasse-Kriterien. In der zweiten Phase bis Frühjahr 1944 vollzog sich die Indienstnahme der Deutschen für den „totalen Krieg“, wobei die Ortsverbände straff organisiert wurden, um die Angriffe der Partisanen abwehren zu können. In der letzten Phase mussten die Deutschen aus Kroatien den in Berlin festgelegten Umsiedlungs- und Evakuierungsplänen Folge leisten.

Carl Bethke (Berlin) referierte über die Pläne der Umsiedlung von Deutschen in Kroatien, die seit Ende der 1930er Jahren diskutiert wurden. Damals sollten verstreut lebende Deutsche in Siedlungsschwerpunkten zusammengefasst werden, um ihre Identität zu stärken, was aufgrund der Angriffe der Partisanen seit 1943 zu einer Notwendigkeit wurde. Im Oktober 1944 gelang es, die Deutschen bis zu 90% aus Kroatien nordwärts zu evakuieren, so dass, im Gegensatz zu den Deutschen aus Serbien, nur wenige von den Strafaktionen nach 1945 betroffen waren. In Jugoslawien wurden alle Deutschen enteignet, sehr viele starben in Internierungslagern. Die Überlebenden waren nach 1946 so genannte „Kontaktarbeiter“, bis sie das Land verlassen konnten.

Einleitend zum zweiten Themenblock der Tagung sprach Dennis Deletant (London) über die Politik Großbritanniens in Südosteuropa 1944/45. Er analysierte, warum die britische Regierung die Deportation von Angehörigen der deutschen Minderheit zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion betreffend nur einen kurzen Protestbrief formulierte. Für die Briten wie auch für die Vertreter der USA waren angesichts der Spannungen mit dem ehemaligen Bündnispartner Verletzungen von Menschenrechten in Rumänien – gleichgültig, ob sie die Mehrheitsnation oder Minderheiten betrafen – von untergeordneter Bedeutung. Innerhalb der Alliierten Kontrollkommission hatten die westlichen Vertreter in Rumänien nur eine Beraterrolle, sie konnten die in Moskau gefassten Beschlüsse nicht wesentlich beeinflussen.

Armin Heinen (Aachen) analysierte die Lage der deutschen Minderheiten in Rumänien zwischen 1944 und 1947 sowie ihre heutige Darstellung. Er teilte die Deutungen dieser Umbruchsjahre idealtypisch in zwei Kategorien, in Überwältigung oder Verstrickung. Die meisten rumänischen Historiker und einige aus dem Ausland wie Dennis Deletant, Keith Hitchins etc. betonen, dass sich Rumänien vor 1940 an Westeuropa orientierte und nach 1944 durch sowjetischen Zwang auf kommunistischen Kurs gebracht wurde. Sie betonen den Widerstand der bürgerlichen Parteien und des Königs. Der andere Forschungsansatz hebt die Verstrickung der bürgerlichen Politiker hervor, die kein demokratisches Konzept nach 1944 verfolgten. So bekämpfte etwa Staatschef General Rădescu die Kommunisten mit dem Verweis auf ihre jüdische Herkunft. Gleichzeitig drängten viele ehemalige Legionäre in die Kommunistische Partei. Lucian Boia, Catherine Durandin und andere verweisen auf das Fehlen der Zivilgesellschaft in Rumänien, wodurch eine Abwehr des sowjetischen Drucks, wie beispielsweise in Finnland, nicht möglich war.

Norbert Spannenberger (Leipzig) untersuchte die politischen Säuberungen in Ungarn 1944/45 und verwies auf die große Anzahl von 60.000 Anklagen. Unter den Hingerichteten waren viele Pfeilkreuzler und sowie der Führer der Deutschen Volksgruppe Franz Basch. Obwohl bei der Potsdamer Konferenz die Vertreibung von Deutschen aus Ungarn nicht festgelegt worden war, mussten viele weichen, damit die aus der Slowakei vertriebenen Ungarn untergebracht werden konnten. Es gab zwar auch ungarische Politiker, die wie István Bibó gegen diese Maßnahme protestierten und sie mit dem Holocaust verglichen. Der Referent hob jedoch die Kontinuität der ideologischen Rechtfertigung der Vertreibung bei Politikern der Kleinen Landwirte Partei und bei den Sozialdemokraten hervor.

Den dritten Themenblock zur Lage der verschiedenen Minderheiten eröffnete Hannelore Baier (Sibiu/ Hermannstadt, Rumänien) mit ihrem Vortrag über die Deutschen in Rumänien von 1945 bis 1947. Sie zählte die Deportation zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion und die im Rahmen der Agrarreform durchgeführte Totalenteignung des ländlichen Besitzes zu den härtesten Maßnahmen gegen die Deutschen. Darüber hinaus hatten die Deutschen keine politischen Rechte, und einige wurden in Internierungslager im Inneren des Landes gebracht. Ab Herbst 1945 gab es jedoch erneut deutsche (Kirchen-)Schulen und Publikationen in deutscher Sprache. Sowohl die bürgerliche Regierung (im September 1944) als auch die kommunistische Führung (1946) diskutierten über eine Ausweisung der Deutschen, nahmen aber Abstand von diesem Plan, vermutlich weil die Wirtschaftskraft Rumäniens angesichts der hohen Reparationszahlungen an die Sowjetunion als wichtiger erachtet wurde.

Pavel Polian (Moskau, Russland und Freiburg) referierte über den Arbeitseinsatz deutscher Zivilinternierter aus Ungarn und Rumänien in der UdSSR. Den Status und die „rechtliche“ Lage der deutschen Zivilinternierten legte der NKWD im Februar 1945 fest. Nach einer Verordnung vom Juni 1945 wurde der Monatslohn zwar nach Leistung bemessen und unterschied sich nicht von dem sowjetischer Arbeiter. Die Realität sah für die Internierten jedoch oft wesentlich düsterer aus: Sie mussten verspätete Essensausgabe, Versorgungsausfälle, unmöblierte Räume und das Fehlen von Sanitäranlagen hinnehmen. Die allgemeine Hungersnot aufgrund der Missernten in der Sowjetunion trug dazu bei, dass sich die Lage Ende 1945 / Anfang 1946 kritisch zuspitzte: Die Brotration wurde auf 100-200g gekürzt; wodurch sich die Arbeitsproduktivität erheblich verringerte und die Sterblichkeit der deutschen Internierten und Kriegsgefangenen rapide zunahm.

Lucian Nastasă (Cluj/Klausenburg, Rumänien) sprach über Formen der ungarischen Identität in Rumänien 1944-1948. Da in den Kriegsjahren die interethnischen Spannungen in Rumänien und Ungarn von den Regierungen ausgenutzt worden waren, bemühten sich die Politiker nach 1945 um vertrauensbildende Maßnahmen. Nachdem in der Verfassung von 1948 die kulturellen Rechte der Ungarn verankert worden waren und die Unterrichtssprache in den höheren Schulen ungarisch war, wuchs die Akzeptanz der Kommunisten unter den Ungarn. Bei der Stellenbesetzung an der ungarischen Hochschule in Klausenburg versuchten anfangs die Katholiken, den Einfluss der Calvinisten zu minimieren. Trotz gewisser Spielräume wurden bis 1948 alle ungarischen Verbände der Kontrolle durch die kommunistische Partei unterstellt. Die Errichtung der „Autonomen Ungarischen Region“ im Szekler-Gebiet von 1952 wird bis heute kontrovers diskutiert.

Hildrun Glass (München) stellte den Neuanfang der Juden im Banat nach 1944 dar. Ihre Anzahl hatte sich durch den Zuzug von Überlebenden aus den Lagern Transnistriens im Vergleich zu 1930 verdoppelt. Die 14.000 Juden lebten größtenteils in Temeswar und Lugoj. Aufgrund ihrer Verarmung durch repressive Gesetze in den Kriegsjahren war ein Drittel mittellos und erhielt nach 1944 Unterstützung vom Joint Distribution Committee. Das neu gegründete Jüdische Demokratische Komitee versuchte, die Juden für „produktive Bereiche“ umzuschulen. Da sie in den Fabriken aber samstags arbeiten mussten, entschlossen sich viele auszuwandern. Die Sozialdemokraten und Zionisten verbuchten in den jüdischen Gemeinden bei den Wahlen anfangs große Erfolge. Dennoch wurden die jüdischen Gemeinden politisch so umorganisiert, dass sie seit 1949 vollkommen unter kommunistischer Kontrolle standen.

Der vierte Themenblock der Tagung, die Geschichtsschreibung zu Minderheitenfragen, wurde mit einem Referat von Zoran Janjetović (Belgrad, Serbien) eröffnet. Der Referent nannte zwei Gründe für die Tatsache, dass in Jugoslawien bis in die späten 1980er-Jahre sehr wenig über die deutsche Minderheit publiziert wurde. Zum einen verstand sich der Staat als slawische Nation, zum anderen wurde die deutsche Minderheit wegen ihrer Haltung während des Zweiten Weltkrieges als feindliche Gruppe betrachtet. Die Einberufung der Männer zur SS-Division „Prinz Eugen“ ermöglichte ihre Darstellung als Nazis und Kriegsverbrecher. Positiv besetzt war nur die sehr kleine Gruppe Deutscher aus dem Thälmann-Bataillon, die sich Titos Partisanen angeschlossen hatte. In der Historiographie über die früheren Zeitspannen ist das Bild nicht so einseitig, aber auch dort gibt es viele negative Stereotypen.

Vasile Docea (Temeswar, Rumänien) verdeutlichte die ethnischen Prägungen in der Geschichtsschreibung des Banats. Aus seiner Sicht sind historische Werke zwar als fiktionale Gebilde mit literarischen oder künstlerischen Werken teilverwandt, unterscheiden sich jedoch von letzteren durch den Rekonstruktionsanspruch einer vergangenen „Wirklichkeit“. Oft werde aber der Rückgriff auf die Vergangenheit zum Legitimierungsinstrument gegenwärtiger Zielsetzungen. Die sich mit dem Banat befassenden Monographien bieten eine multiperspektivische Vielfalt, in welcher verschiedene ethnische (deutsche, ungarische, rumänische), aber auch kulturelle und politische Konstellationen von spezifischen historischen Diskursmodi begleitet werden. Ihre ethnische Prägung ist stärker an die verschiedenen zu behandelnden Themen, als an die von den Historikern benutzte Sprache gebunden.

Abschließend wurden zwei Dissertationsprojekte vorgestellt: James Koranyi (Exeter, Großbritannien) arbeitet über „Die deutsche Erfahrung in der frühen kommunistischen Zeit in Rumänien“ und Thomas Şindilariu (Braşov/ Kronstadt, Rumänien) an einer Stadtgeschichte von Kronstadt/Stalinstadt in den Jahren 1944-1953.

Für ein erweitertes Publikum fand am ersten Abend eine Podiumsdiskussion statt. Zuerst präsentierte Stefan Sienerth (München) die Arbeitsbereiche des IKGS, seinen Verlag und die Zeitschrift. Dann sprachen die Gäste des Podiums über ihre Forschungsergebnisse zu Minderheitenfragen in den 1940er-Jahren. Karl Stuhlpfarrer stellte seine Arbeit in der Kommission dar, die im Auftrag des österreichischen Parlaments und der Regierung Restitutionsansprüche aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs untersuchte. Dazu zählten vor allem die Besitztümer von Juden, Slowenen und Roma, die sich damals der Staat, die Länder, Gemeinden oder Privatpersonen angeeignet hatten.
Victor Neumann (Temeswar, Rumänien) skizzierte seine Forschung über die Juden im Banat. Derzeit arbeitet er an einer Publikation über die Bedingungen, die dazu führten, dass 1942 von der bereits geplanten Deportation der Juden Abstand genommen wurde. Smaranda Vultur (Temeswar, Rumänien) referierte über ihre Erfahrungen mit Oral-History Projekten im Banat. Durch die Methode der Befragung von Rumänen, Deutschen, Juden und Serben konnte der monoethnische Ansatz überwunden werden. Neue Erkenntnisse über die Deportation von Banatern in den Bărăgan 1951/52 so wie zur Kollektivierung der Banater wurden gewonnen.
Dennis Deletant (London, Großbritannien) berichtete über seine Erfahrungen bei Untersuchungen über die Sicherheitsorgane im kommunistischen Rumänien. Im Vergleich zu rumänischen Kollegen erhielt er weitaus mehr Material aus den Archiven. Der Zugang zu den Akten ist noch immer sehr schwierig, obwohl inzwischen ein „Nationaler Rat zur Erforschung der Archive der Securitate“ besteht.

Bei der Tagung wurde vor allem darüber diskutiert, welche Kontinuitäten und Brüche es in den 1940er-Jahren in der Lage der Minderheiten gab. In dem geplanten Sammelband soll die Frage vertieft werden, inwieweit das Bestreben zur „Homogenisierung“ der Gesellschaften eine strukturelle Gemeinsamkeit der Regierungen im Faschismus und Stalinismus darstellt. Der Band wird 2006 im IKGS-Verlag erscheinen.


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